Ein Uhr. Ich starte ich den Motor. Nervös und wirklich nicht bereit, ziehe ich die Kette ein. Der Anker kommt. Hat gut gehalten. Der Wind frischt auf. Will den Autopiloten einschalten – nix! Sch …! Umdrehen? Anker wieder herunterlassen? Ich muss los. Also weg. Steuer legen und festmachen, ungefähr zum Ausgang. Den Anker festmachen, alles da vorn aufräumen und da passiert es – fast. Ich komme meinem Nachbar viel zu nahe, kann gerade noch Gas geben und abdrehen. Ich habe immer noch einen Meter. Doch der Schreck sitzt. Was mache ich da überhaupt? Denke ich laut und setze das Gross. Der Wind ist fantastisch und bläst mich genau richtig zur Insel Pico rüber. Noch etwas Genua und dann den Pitsch aktivieren. Endlich, endlich komme ich etwas zur Ruhe.
Bis zur Insel ist es eine Rauschefahrt. Aber warum habe ich keine, überhaupt keine Anzeigen mehr? Gehe auf die Suche. Alles drücken nützt nichts. Gerade in dem Moment ruft mich ein Schweizer auf Gegenkurs über VHF. Er macht Ferien und cruised in den Azoren herum. Er ist gerade von Sao Miguel gekommen und will nach Horta. Schön, schöne Geschichte.
Zurück zu meinem Hauptproblem. Der Windgeber war es das letzte Mal. Also alles aufschrauben und ausstecken. Bingo! Alles funktioniert wieder anstandslos, ausser dem Wind natürlich. Geht auch ohne. Hinter der Insel wird der Wind immer zahmer und ich muss kurz den Diesel zu Hilfe nehmen. Aber nur ganz kurz. Der richtige Süder kommt gegen Abend. Es ist eine massive Störung, die über die Azoren zieht und mir hilft, besser nach Osten zu kommen. Dafür wird es vermutlich etwas ruppig. Doch bis zum Dienstag zieht er mich förmlich. Fast keine Böen und der Pitsch steuert anstandslos. Am Abend sehe ich noch die Sao Miguel Insel und kann sogar noch eine Meldung nach Hause senden und natürlich die neusten Wetterdaten herunterladen. Es ist das erste Mal, dass ich vollends dem Wetterrouting von PredictWind folge. Der berechnete Kurs ist im NaviProgamm verankert und so segele ich einfach diesen Punkten nach. Bis jetzt passt’s. Auch mit den neuesten Daten sollte es möglich sein, bis zum Festland zu segeln. Mal sehen.
Dann ein klong, bling, schepper, das vom Mast kommt. Es ist noch dunkel und so sehe ich nicht gerade, was da nicht in Ordnung ist. Mit der Lampe sehe ich dann den Aktiven-Radarwarner, den es um den Masten schlägt. Das Segel muss mehr oder weniger drangekommen sein und somit das Ding abgebrochen haben. In den Masten hoch? Sicher erst, wenn es hell ist. Doch im Laufe der Nacht löst sich das Problem, leider, von selbst. Ein riesen Knall und dann ist er weg. Für immer in den Tiefen des Atlantik verschwunden. Wollte ihn sowieso ersetzen, weil er bedauerlicherweise nutzlos geworden ist. Durch die neunen Radarsysteme, primär die in der Grossschifffahrt, wird das Ding nicht mehr gesehen oder erkannt.
Der Wind kommt und geht. Manchmal unter zehn Knoten und machmal fast deren zwanzig. Segeln geht immer noch. Dann eine Regennacht, dazu Nebel vom Feinsten. Schiffe sind zurzeit zum Glück nicht auf meiner Route.
Am Donnerstag, dem 15. Juni, ist es dann so weit. Ich bin in der Flaute. Kein Wind, keine Wellen, nix. Der Motor läuft und läuft. Damit auch der Frust. Komme ich die restlichen sechs Tage, so die Berechnung, mit dem Diesel durch? Warum bin ich nur los? Warum könnte ich nicht warten oder gar früher los? Doch das hilft jetzt alles nichts. Ich bin hier, komme super vorwärts und die Zahlen stimmen. Das sollte locker zum Festland reichen. Auch wenn ich nur noch den Diesel benötigen muss. So entspannt sich die Lage ziemlich schnell. Ein, zwei Flüche muss ich aber schon noch loswerden. Auch schaue ich mir die Prognosen für den Wind nochmals genau an. Der behauptet, es hat Wind! Und zwar bei allen Modellen. Aber, die Natur hat immer recht. Die Abendstimmung hilft gerade unglaublich. Passt doch alles!
Ich fange an, zu lesen. Ein Buch nach dem anderen. Das Erste, ist, war nicht so ideal. Mein inneres Kind und so. Ich habe jetzt gerade genug mit mir zu tun, also währe das nicht nötig gewesen. Doch wann habe ich mal Zeit ohne Ende? Und eine Ablenkung gibt es nicht. Am Schluss verbrauche ich fast fünf Bücher. Stolz, bin grausam stolz auf mich 😉
So schnell kann es gehen. Es ist schon Samstag. Nur noch 300 Meilen bis zum Kap. Die Stimmung steigt noch höher. Würde es schaurig gern mit zu Hause teilen. Geht aber noch nicht. Aber bald, bald, bald!
Der Motor läuft wie eine Eins. Keine Probleme, keine Macken und keine heissen Ohren. Happy Camper. Dann noch ein Schreck. Das AIS steht auf Rot. Alarm oder besser auf Error. Gerade jetzt, wo ich auf tonnenweise Schiffe treffen werde. Es ist doch die Hauptroute vom Norden ins Mittelmeer. Ausgerechnet jetzt. Doch was ist das, ich sehe ein Schiff auf dem Schirm. Geht so was denn? Also wenn ich ihn sehe, sollte er auch mich sehen. Aber am wichtigsten ist, ich sehe die “Gefahr” auf mich zukommen. Ich bin unendlich beruhigt. Doch ich will es genau wissen und rufe St. Nicolai über VHF an. Ich kann dich sehen, sieht du auch mich? Ja und die Position? Genau da, wo ich bin. Sprachlos und überglücklich. Es läuft also doch noch. Auch sonst kann ich verschiedene Sachen reparieren, weil es so unendlich Ruhig ist. Die Scharniere vom Gaskasten sind durch das Salz mal wieder durch und die ersetze ich geradewegs. Dazu kommt, dass ich fast jeden Tag einen Kanister Diesel einfülle. Am Schluss sind es deren fünf à 20 Liter. Einen 25 Liter behalte ich noch. Man weiss einfach nie.
Mein Sohn hat heute Sonntag Geburtstag. Wäre wunderschön, wenn ich schon näher am Land bin, damit ich ihm gratulieren könnte. Doch es sind immer noch 140 Meilen. Doch ein Wunder geschieht heute, der Wind kommt endlich zurück. Von Norden, wie vorhergesagt? Nö, der Süder fährt ein. Natürlich geht auch und hoch die Segel. Rauschefahrt! Volles Hoch. Segle die Nacht durch. Die Grossen auf der Autobahn sehe ich und sie hoffentlich auch mich. Sie weichen alle aus. Ausgezeichnet und danke. Montagmorgen. Ich schreibe ins Logbuch: 8:00 Uhr: nur noch 50 Meilen bis zum Cabo Vincente! 22.9°, dichte Bewölkung mit 1012.5 hPa Druck. → und jetzt kommen die Grossen in Massen (Tanker, Frachter) Glücklich.
Am Mittag, 35 Meilen vor dem Kap, habe ich erstaunlicherweise bereits Handyempfang. Grossartig. Joel gratulieren und ein Telefon nach Riffi! Wow, sind alle happy! Dazu kommt, dass gerade als ich am Telefon bin, eine grosse Schule Delfine um die Ulalena schwirrt. Links, rechts, vorn und hinten. Sie scheinen gerade überall zu sein. Könnte platzen vor Freude.
Was für ein Gefühl, es wirklich, wirklich bis ans Festland geschafft zu haben. Doch begreifen tue ich das natürlich noch überhaupt nicht. Auf dem Händy zoome ich kurz die Karte auf und da, da, diese Strecke habe ich soeben gemeistert. Der Leuchtturm kommt immer näher und leider stellt der Wind seinen Dienst ein. Der Motor muss wieder her. Zehn Uhr abends bin ich querab vom Leuchtkegel.
Das ist wirklich ein fantastisches Feeling. Hier bei diesem Punkt schon zum drittel mal zu sein. Einmal ging’s in den Norden. Dann von Lissabon runter nach Lagos und jetzt von den Azoren hierhin. Eigentlich ist jetzt der Kreis geschlossen, kommt mir gerade in den Sinn. Im 2018 segelten wir hier rum und dann in den Süden nach Madeira, den Kanaren, Kapverden, rüber in die Karibik, hoch bis in die Staaten und jetzt, jetzt zurück nach Europa! Sprachlos.
Kaum bin ich ums Eck, fahre zum nächsten Kap von Sagres, stellt der Wind komplett ab. Für Lagos, das noch etwa 17 Meilen entfernt ist, ist es zu spät. Doch für Vilamoura reicht die Zeit, bis es wieder hell wird. Direkte Bahn und schlafen. Doch aus dem wird gar nichts. Es hat genau auf meiner Route, Hunderte Fischer. Bravo! So ist nichts mit Erholung. Ausweichen, checken und alle 20 Minuten hinausschauen. Was machen sie? Fischen! Zeit für einen blöden Segler haben sie natürlich nicht. So wird es nochmals eine harte Nacht. Die Sonne geht auf und alles ist vergessen. Die Marina kommt ins Blickfeld. Ich bin da!
Um viertel nach sieben, uups wir haben doch noch Zeitumstellung gegenüber von den Azoren, lege ich am Tank-Steg an. Es kommt sogar ein Marinero und hilft mir beim Anlegen. Augenblicklich entschuldig er sich, Tanken erst ab acht Uhr und das Office eine halbe Stunde danach.
So stehe ich auf dem Steg und weiss nicht, wie mir geschieht. Es sind die Momente, die sich ganz, ganz tief in einem verankern. Unsagbar zufrieden mit sich und der Welt.
Diesel einfüllen, Anmelden, was Horta? Ja, genau, Horta, wiederhole ich die Herkunft. Schlüssel und einen Platz am G Steg bekomme ich. Wie in Trance wickle ich das Ganze ab. Total übermüdet. Doch jetzt noch einmal Vollgas. Hellwach, Motor starten, ablegen, Fender richten und den Platz suchen. Stoppen und rückwärts rein. Problemlos und auf Anhieb bin ich in der Box. Festmachen und Motor aus. Kaffee! Ich möchte einfach einen Kaffee. Strom an und Wasser aufwärmen.
Pause? Keine Zeit. Die Lebensgeister sind wieder voll da. Aufräumen, das ganze Schiff mal wieder mit Süsswasser vom Salz befreien und dann die Blachen gegen die Sonne aufspannen. Natürlich alle Luken aufsperren. Lüften. Die Bugkoje ist ganz muffig und feucht. Alles raus zum Trockenen. Auch die Matratzen kommen an die Sonne. Jetzt Pause? Noch nicht. Verbindung mit zu Hause. Dann kommt die grosse Müdigkeit. Ich lege mich hin. Ruhe. Endlich, Ruhe.